B. Research Area Operativität | mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien

Leitung: Nikolaus Urbanek


Wie in vielen schriftlichen Zeugnissen von Kompositionsprozessen deutlich wird, gehen Kreation, Reflexion, Kommentar und Korrektur des Geschriebenen und schriftliche Fixierung des Noch-nicht-Aufgezeichneten im Rahmen des Kompositionsprozesses oftmals Hand in Hand. In dieser Konstellation erweist sich ein zentrales Moment des Schreibens selbst, das man als ‚explorative Operativität‘ des Schreibens selbst bezeichnen könnte. Zwei Momente dieser explorativen Operativität sollen in dieser Research Area an den Vordergrund gerückt werden: eine vergleichende Analyse grundlegender Textoperationen und eine Annäherung an die Relevanz ikonisch-ideographischer Momente.


B. 1. Teilprojekt: Operation und Manipulation. Vergleichende Analysen von Textoperationen in musikalischen Skizzen

Im Gegensatz zum zeitlich gebundenen, ephemeren Klanggeschehen kann der geschriebene Notentext mit diversen Textoperationen in räumlich basierten Aktionen manipuliert werden – man denke an die Möglichkeiten des Umstellens, Streichens, Verschiebens, Annotierens etc. Diesen schriftinternen Operationen eignet ein (auto)kommunikatives, ein räumliches, ein operatives, ein kognitives Moment gleichermaßen (cf. Grube/Kogge 2005:10f. and Krämer/Cancik-Kirschbaum/Totzke 2012:20f). Der Fokus des Teilprojekts liegt in einer vergleichenden Analyse von Schreiboperationen anhand von Skizzen unterschiedlicher Komponisten des 20. Jahrhunderts. Drei musikhistorisch bedeutsame Schnittstellen werden hier definiert: (I) Anhand eines Vergleichs von Skizzen aus dem Bereich des Übergangs von „Freier Atonalität“ zur Verwendung der „Zwölftontechnik“ bei Schönberg, Berg und Webern mit etwa zeitgleichen Skizzen Strawinskys und Bartóks lässt sich ein gewisser Grundstock an Textoperationen benennen, der in Hinblick auf (II) eine musikhistorische Schnittstelle um 1960 (Berio, Boulez, Cage, Stockhausen, Nono, Ligeti, etc.), an welcher in der Einbeziehung von Klangkomposition, Elektronik, Happening, Zufallsoperationen etc. gänzlich andere Anforderungen an das Skizzieren gestellt werden, weiter zu spezifizieren wäre. In Hinblick auf eine (III) Schnittstelle um 1990, die von der Einbeziehung auch des Computers und weiterer elektronischer Medien in den kreativen Akt des Komponierens entscheidend geprägt ist, sind so unterschiedliche Vorgehensweisen des Skizzierens wie beispielsweise bei St. Reich, Ferneyhough, J. Harvey oder Nancarrow auf übergeordnete Textoperationen zu untersuchen. Ziel dieser vergleichenden Skizzenforschung ist eine (Re-)Formulierung der traditionellerweise zumeist ausschließlich auf einzelne Autoren fokussierte Theorie der Skizzenforschung.


B. 2. Teilprojekt: Bild als Prozess in den Skizzen von Komponisten des 20. Jahrhunderts (Cotutelle Wien/Gießen)

Die genannte ‚explorative‘ Operativität wird in Quellen kreativer Prozesse auch in musikalischem Skizzenmaterial nicht selten bereits an der visuellen Oberfläche greifbar: So erweist sich beispielsweise in Inskriptionen, Marginalien, Paratexten, Metatexten, Palimpsesten und Ähnlichem ein spezifisches Moment schriftbasierter operativer Selbstreflexion (Fuhrmann 2011:119). (Nicht nur in dieser Hinsicht beinhalten musikalische Notate mithin ideographische Momente, die keine direkten Äquivalente auf der Lautebene haben, vgl. Raible 1997:29, zit. in Krämer 2003:160.)

Kompositionsentwürfen und Skizzen von Komponisten wohnt dementsprechend eine eigene Ikonizität inne, in der sich oft eine musikalische Idee, ein Kompositionsprinzip, eine ästhetische Einstellung ‚zeigt‘ (Cavallotti 2012, Czolbe 2014). Strawinskys und Varèses Sammel- und Collage-Verfahren sind bereits anhand der vielen Papierschnipsel zu erkennen, auf denen sie musikalische Ideen sammelten und die sie dann später ordneten. Lachenmanns konstellatives Denken, Rihms linear-prozessuale Narrativität und schließlich Kagels spielerischer Umgang mit Form sind Elemente, die bereits aus der bildlichen Anlage deren Skizzen herauszulesen sind. In Boulez’ und Ligetis frühen kompositorischen Entwürfen lässt sich andererseits oft ein Weg nachzeichnen, von einem, durch das Medium des Skizzenblattes geprägten ikonischen Moment, hin zu einer bilderlosen Klangwelt. Während bei Nono zum einen die Vielschichtigkeit einer Partitur, wie die des Streichquartetts Fragmente, Stille – an Diotima durch Hölderlins Handschriften (Frankfurter Ausgabe) geprägt ist und zum anderen ist die anfängliche Ikonizität eines Werkes wie Prometeo und das allmähliche sich Durchsetzen einer Bilderlosigkeit anhand der Skizzen deutlich belegbar ist.

Über die bloße Rekonstruktion werkgenetischer Aspekte heraus und aus einer bildtheoretischen Perspektive, vermag eine neue philologische Auseinandersetzung mit den nachgelassenen Materialien der erwähnten Komponisten neue, bislang unerschlossene Horizonte musikalischen Schreibens aufzuschließen. Dabei fokussiert sich dieses Projekt auf die theoretisch erfassbare Relation von Bildlichkeit im Denken eines Komponisten und das Phänomen der Transposition in musikalischem Klang. Theoretisch fruchtbare Berührungspunkte erweisen sich bei diesem Projekt zu sämtlichen anderen research areas (Operativität, Materialität und Performativität) in besonderem Maße.